Der Gründergeist im »Silicon Wadi«

Der Gründergeist im »Silicon Wadi«

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HANIX #62 // Von Thomas Villinger

THOMAS VILLINGER ist als Geschäftsführer des Zukunftsfonds Heilbronn ständig auf der Suche nach spannenden Start-ups, um diese nach Heilbronn zu holen. Israel mit seiner Start-up-City Tel Aviv und deren Dynamik, dazu die Fähigkeit zum desruptivem Querdenken und die Zielstrebigkeit der israelischen Gründer beeindrucken den Investor dabei nachhaltig. Kein Wunder, dass Israelis prädestiniert sind, Start-ups zu gründen: Problemlösungen lernen alle Israelis früh beim verpflichtenden Wehrdienst.


Liebe Heimat,

mein Lufthansa-Flug liegt ruhig in der Luft. Es ist 23:40 Uhr, langsam beginnt der Airbus A321 den Sinkflug. Ich schaue aus dem Fenster und kann schemenhaft die Küstenlinie Israels erkennen. Erste Umrisse einer beeindruckenden Ansammlung von Hochhäusern sind in der Ferne erkennbar. Tel Aviv präsentiert sich beim Erreichen der Küstenlinie von oben als gewaltiges, leuchtendes und waberndes Zentrum und einem bis ins Unendliche bebauten Raum. Nach kurzer Schleife kommt die Landung. Der Passagierfinger vom Ben Gurion Airport befreit uns von der Enge der Lufthansa-Bestuhlung. Alles geht ganz schnell und wir tauchen nach Passkontrolle und Customs in die israelische Wirklichkeit ein. Lautes Taxi-Gehupe und Geschrei um irgendeinen Fahrgast macht deutlich, dass ich im »Mittleren Osten« angekommen bin. Mit Höchstgeschwindigkeit werde ich weit nach Mitternacht durch ein verschlungenes Meer von Autobahnen, der vorbeiziehenden beleuchteten Skyline und unzähligen im Bau befindlichen Wolkenkratzern zu meinem Hotel transportiert. Der Blick aus dem Taxi lässt erahnen, welche Dynamik und welcher Aufbruch von dieser Stadt ausgeht.

Das wird morgens bestätigt, als ich mich zu den ersten Terminen aufmache. Tel Aviv ist sehr laut und auch eine ziemlich dreckige Stadt. Man nimmt wenig Rücksicht – man ist hier zielstrebig unterwegs. Platz machen muss nicht sein. An vielen Ecken entdeckt man leerstehende und heruntergekommene Häuser, die das Stadtbild auf den ersten Blick wenig attraktiv wirken lassen. Aber anderseits hat das einen gewissen Charme. Wenn man noch mal einen zweiten oder auch dritten Blick wagt, entdeckt man zwischen dem ganzen Straßenlärm, den Wohnsilos mit rissigen Fassaden und abblätternden Putz und dem überbordenden Müll die charmante Seite Tel Avivs. Das sind vor allem schöne, kreative und junge Menschen in zahllosen Straßencafés und das mediterrane Flair. Bunt ist es hier, in vielerlei Hinsicht. Entsprechend vielfältig sind meine Impressionen am ersten Tag und nach diversen Gesprächen mit den Vertretern aus der Start-up-Welt in der Start-up-Nation Israel.

Ich lerne schnell, dass das politische, soziale und wirtschaftliche Klima in Israel für Gründer so positiv wie sonst wohl kaum auf der Welt ist. Pro Kopf gerechnet gibt es hier weltweit die meisten Gründer. Doch warum gerade Israel, das umlagert ist von feindlichen Nachbarn und bedroht von Raketen und Selbstmord-Attentätern? Warum ausgerechnet Tel Aviv, wo Strand und Feindesland gerade mal eine Stunde mit dem Auto auseinander liegen?

Ich treffe in Tel Aviv auf schlaue, junge Gründer, die eine Art »Great Israelian Dream« träumen. Der geht so: Jetzt, wo weltweit alles im Umbruch ist, sucht man Lücken für neue Produkte auf Basis z. B. der künstlichen Intelligenz. Worauf hat die Welt gewartet? Wo gibt es Platz für innovative, disruptive Ideen? Mit diesem Spirit werden im sogenannten »Silicon Wadi« täglich zig Start-Ups gegründet. Im Fokus sind Branchen wie Life Science, Software oder Industrieapplikationen. Gedanklich ziehe ich Parallelen zu unserem neuen Campus und dem Wohlgelegen, wenn diese auch nur ein erster Schritt sind …

Ich habe einen Termin bei der Firma Inspekto LTD. Das Start-up hat Harel Boren vor zwei Jahren gemeinsam mit seinem Co-Founder Yonatan Hayett gegründet. Ihr Business: Fehlererkennung in Produktionsabläufen in der Industrie 4.0. Begonnen hat alles im Tech-Park in Be’er Sheva. Mit den Büroräumen in einem neuen Inkubator in Tel Aviv ist schon ein großer Schritt getan. Wer schnell wächst, muss oft umziehen. Was das bedeutet, erlebe ich in Tel Avivs Start-up-Szene hautnah. Nein, der Inkubator ist eigentlich noch gar nicht eröffnet. Vorbei an Betonmischer und Bauarbeitern bahne ich mir nach 20-minütiger Suche letztlich erfolgreich den Weg in eine Lobby, in der geradeso ein provisorischer Empfangstresen und ein paar Sitzmöbel aufgebaut sind. Als Harel und Yonatan den Meetingraum betreten, wird sofort klar: Diese Jungs haben ein klares Ziel. Forscher Schritt, kräftiger Handschlag, Blickkontakt – Harel ist CEO des IoT-Start-ups, Yonatan der CTO – beide unter Zeitdruck.

Nur knapp 60 Minuten haben wir für unser Meeting. Die beiden Gründer haben sich in einer Spezialeinheit des israelischen Militärs kennengelernt. Jeder Bürger, egal ob Mann oder Frau, wird hier nach der High School für zwei bis fünf Jahre zum Wehrdienst eingezogen. Der Dienst in diesen Eliteeinheiten bringt spezialisierte Netzwerke hervor, die im Zivilleben fortbestehen. Auf meine Frage hin bestätigt Harel, dass basierend hierauf der Gründergeist in Israel sehr groß ist und von dem israelischen Selbstverständnis »Geht nicht, gibt’s nicht« angetrieben wird. Dieses Mantra für Problemlösungen lernen alle Israelis früh beim Militär. Die Armee spornt junge Leute an, immer wieder querzudenken und andere Wege zu gehen. So kennt in der israelischen Startup-Szene über zwei, drei Ecken nahezu jeder jeden. Schnell kann Vertrauen entstehen – ein unverzichtbarer Bestandteil produktiver Organisationen. Ganz schön clever, die Israelis.

Die Handys auf dem Tisch vibrieren. Der nächste Termin wartet. Während des Aufbruchs erzählt Yonatan nebenbei, dass Inspekto sich ganz bewusst für einen der aktuell hundert Inkubatoren entschieden hat. »Die Bedingungen in solchen Inkubatoren hier sind für uns ideal«, berichtet er. Die inspirierende Atmosphäre, Denken »out of the Box«, Gründergeist unter den Start ups – das kreative Umfeld, ist Yonatan überzeugt, ist ein wichtiger Teil der Innovationsstärke der Teams.

Der Abschied ist freundlich, Harel und Yonatan nehmen sich noch Zeit für ein Foto und verbinden die Suche nach einer netten Location mit ein paar Gastro-Ideen für den Abend. Wenn das Tempo des Gesprächs beispielhaft ist für die Gründerdynamik in Israel, ist der Erfolg der Start-up-Nation nicht verwunderlich.

Mit einem »Shalom Shabbat, see you tonight at the beach« steh ich wieder mitten im Getümmel Tel Avivs. Wer schon einmal in Tel Aviv war, schwärmt von der Stadt. Das Essen, die Strände, die Szene und die freundlichen, offenen Menschen beeindrucken jeden Besucher. Dazu kommt natürlich das Land Israel selber – mit seiner einzigartigen Geschichte und all seinen Konflikten, die aus der Nähe betrachtet ganz anders aussehen als aus der sicheren Entfernung Mitteleuropas.

Wie immer inspiriert ein Aufenthalt in Israel für meine Aufgabe, die Start-up-Szene in der Heimat weiter auszubauen und zu entwickeln – es gibt viel zu tun, ich freue mich darauf!