HANIX #53 // Von Matthias Marquart // Fotos: Ulla Kühnle
Das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes und Hanix haben Akteure aus dem Gesundheitswesen und der Kultur- und Kreativwirtschaft bei einem zweieinhalbtägigen Innovationcamp im Heilbronner insel-hotel zusammengebracht. Mit erstaunlichen Erfolgen.
Ja, mit der Kultur- und Kreativwirtschaft ist es so eine Sache. Zwar ist sie es, die maßgeblich zum Flair, der Dynamik und Entwicklung einer Stadt beiträgt, doch sie kostet eben auch ab und an ein wenig Geld und vor allem die Bereitschaft Neues, Ungewöhnliches zuzulassen und zu fördern. Und eben darin sind die Köpfe in Verwaltung und zuständigen Gremien leider meist wenig kreativ. Da werden oft schon die ersten ungewöhnlichen Ansätze im Keim erstickt und nach dem Motto: »wo kommen wir denn da hin / das haben wir noch nie so gemacht / das gab’s noch nie / wir machen das, wie immer«, verfahren.
»wo kommen wir denn da hin / das haben wir noch nie so gemacht / das gab’s noch nie / wir machen das, wie immer«
Das soll sich in Heilbronn nun allerdings ändern, wenn man Heilbronns erstem Bürgermeister Martin Diepgen Glauben schenken möchte, der als Leiter des Dezernats II unter anderem für Wirtschaft und Finanzen sowie die Stabsstelle Wirtschaftsförderung zuständig ist.
Beim »Schrittmacher Innovationcamp« der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung, des daran angeschlossenen Kompetenzzentrums und Hanix als Organisator ließ er zur Begrüßung, nach einer Lobeshymne auf die dynamische Entwicklung der Stadt Heilbronn, jedenfalls verlauten, dass die Stadt Heilbronn 2018 beginnen werde, eben jene Kultur- und Kreativwirtschaft verstärkt zu fördern. Schön wäre das – denn an wirklich großen Taten kann sich die Stadt in diesem Bereich bisher wirklich nicht rühmen.
Gesundheitswesen trifft Kreative
So haben diesmal andere die Initiative ergriffen. Umso erstaunlicher, als dass es sich dabei um Verwaltungen innoch viel größerem Stil – nämlich auf Bundesebene – handelt. Diese sind anders als die Komunalpolitik vor Ort scheinbar bereit, einen Sprung zu wagen. Ein Sprung, der wichtig, nötig und auch wirtschaftlich sinnvoll ist. So hat sich auf Bundesebene die Erkenntnis durchgesetzt, dass sofern man die Kultur- und Kreativwirtschaft mal auf klassische Branchen loslässt – Synergien und wirtschaftlich positive Entwicklungen entstehen. Und beim Innovationcamp in Heilbronn war das Gesundheitswesen im Visier. Zweieinhalb Tage intensiver Austausch zwischen Künstlern, Managern, IT-lern, Architekten, Fotografen, Designern, Ärzten und Pflegern aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, um nur einige Branchen zu nennen, die hier »aufeinanderprallten« und die normalerweise keine oder nur wenig Berührungspunkte haben.

Entsprechend vorsichtig und teilweise noch mit klassischen Vorurteilen und daraus resultierenden Vorbehalten, ob ein derartiges Projekt Früchte tragen könne, gingen die Akteure in vier Workshops an die Arbeit. »Simulation in der Medizin«, »Raumdesign in der Kinderklinik«, »Nachwuchskräfterecruiting für die Alten- und Krankenpflege« sowie »Changeprozesse für das Be- und Entlohnungssystem im Gesundheitswesen« waren die Themen, die in den mit je 15 Teilnehmern, einem Mentor sowie einem Fallgeber besetzten Teams behandelt wurden. Susan Barth, Mentorin für die »Changeprozesse«, brachte die Erwartungshaltung nahezu aller Teilnehmer auf den Punkt: »Ich wünsche mir, dass die Menschen, die sich hier versammelt haben und zusammenkommen, offen sind und gemeinsam denken, sodass etwas Neues entstehen kann. Was das sein wird, ist noch unklar.« Ganz ähnlich sah es auch Matthias Leitner, Mentor des Workshops »Fach- und Nachwuchskräfterecruiting für die Alten- und Krankenpflege«: »Es sollte keiner mit vorgefertigten Erwartungshaltungen herkommen. Ich erwarte mir Offenheit, Nachsicht und ›Flughöhe‹. Die Teilnehmer sollen sich trauen, groß zu denken.«
Neue Ideen und konkrete Lösungsvorschläge
Nach zweieinhalb intensiv genutzten Tagen mit faszinierenden Impulsvorträgen ging es dann an die Vorstellung der Ergebnisse. Und was die Teams da präsentierten, konnte sich wahrlich sehen lassen. So wählte das Team des Workshops »Changeprozesse für das Be- und Entlohnungssystem im Gesundheitswesen« beispielsweise einen konkreten Fall, der aus dem Umbau der SLK-Kliniken entstand (die Gruppe wählte exemplarisch den HNO-Bereich): Da wurden mehrere Stationen zu einer großen zusammengelegt und neben weiteren Umstrukturierungsmaßnahmen unter anderem ein rotierendes Personalsystem eingeführt. Ständig wechselnde Patienten und Teams waren dabei die Folge. Dies führte zu Unzufriedenheit beim Personal, das keinen Bezug mehr zum einzelnen Patienten herstellen und individuell auf ihn eingehen kann und zur daraus resultierenden Unzufriedenheit der Patienten und der Angehörigen. So sinkt die Motivation des Personals, Krankenstände steigen, was wiederum zur Überlastung des Personals führt. Mangelnde Wertschätzung macht sich breit, die Klinik wird so mittel- und langfristig neben finanziellen Einbußen vor allem auch ein Imageproblem und Schwierigkeiten in der Fachkräftegewinnung bekommen. Grund genug, sich diesem Problem konkret zu nähern. So war das Ziel, die Vorschläge zur Verbesserung der Situation soweit herunterzubrechen und zu konkretisieren, dass am Ende das Gerüst für einen Förderantrag beim Bundesgesundheitsministerium, das immerhin bis 2019 jährlich 300 Millionen Euro für derartige Projekte bereitstellt, stehen würde. Und das Team war erfolgreich: Das Pilotprojekt »Team-Insel« auf der HNO-Station der SLK-Klinik Heilbronn wurde erarbeitet.
Dieses sieht zwei zuständige Personen (davon mindestens eine Fachkraft) für sechs Zweibettzimmer, das heißt zwölf statt bisher 16 Patienten und damit eine Reduktion des Betreuungsschlüssels von 1/16 pro Fachkraft auf 1/12 vor. Des Weiteren die Errichtung einer »Insel« an der Rezeption mit »Schichtführern«, die als kompetente Ansprechpartner für Ärzte, Patienten und Angehörige zur Verfügung stehen. Außerdem sollte einmal wöchentlich ein 30-minütiger »Jour fixe« mit Oberärzten als Koordinatoren, Stationsärzten, Pflegekräften, Sozialarbeitern, Beratungsdiensten bis hin zur Reinigungskraft stattfinden, sodass sich jeder zuständig fühlen, Verantwortung übernehmen und als erster Ansprechpartner fungieren könne.
Um die Maßnahme zu evaluieren, sei ein Vergleich mit anderen Stationen, die Entwicklung des Krankenstandes, der Springerzeiten sowie das Abfragen der Zufriedenheit von Mitarbeitern, Patienten und Angehörigen angedacht. Durch diese Maßnahmen sei eine Steigerung der Zufriedenheit aller Beteiligten – sogar in der Klinikverwaltung – möglich, da diese nachhaltige Lösung unter dem Strich ein wesentlich günstigeres und effizienteres Arbeiten ermögliche.
Fortsetzung erwünscht
Und dies ist nur ein Beispiel dafür, was die Kreativen mit den Vertretern aus der Gesundheitswirtschaft binnen kürzester, aber intensiv genutzter Zeit auf die Beine stellten. Jedes Team konnte mit konkreten und realisierbaren Lösungsansätzen in ihren jeweils gewählten Themenbereichen aufwarten. Aber nicht nur inhaltlich, auch für die Teilnehmer selbst war das Innovationcamp ein erfolgreiches Projekt. Teilnehmerin Ulrike Landes, 50 Jahre an der Klinik am Klinikum am Weissenhof tätig: »Für mich persönlich habe ich mitgenommen, die Dinge auch einmal im Gesamten zu betrachten, sich von Konflikten zu entfernen und von außen zu beurteilen.« So zeigte das Projekt deutlich, wie wertvoll die Kultur- und Kreativwirtschaft in scheinbar ganz gegensätzlichen Wirtschaftszweigen wirken kann, sofern man sie ernst nimmt und machen lässt. Einer, der dies längst begriffen hat, ist Ralf Klenk, Bechtle-Gründer, Stifter »Große Hilfe für kleine Helden« und Fallgeber beim Innovationcamp: »Für jemanden, der wie ich aus einer naturwissenschaftlich sehr klar reglementierten Industrie kommt, ist es eine unheimliche Bereicherung, wenn er mit Akteuren der Kultur- und Kreativwirtschaft arbeitet, denn dort gelten andere Gesetzmäßigkeiten.« Bleibt zu hoffen, dass sich diese Erkenntnis auch in manch anderen verkrusteten Strukturen durchsetzt und weitere Projekte wie das Innovationcamp ermöglicht.