Robert Mucha – “Unsere Leser haben uns gerettet!”

Robert Mucha – “Unsere Leser haben uns gerettet!”

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HANIX #61 // Interview: Patrick Wurster (Inka Magazin) // Illustrationen: Claudia Wagner / Farbenmetzgerei

»Eines der erstaunlichsten Magazine kommt aus Heilbronn«, befand schon 2015 der Deutsche Journalisten-Verband in seiner Mitgliederzeitschrift »Blickpunkt«. »Global und regional, schwäbisch urban, relevant, individuell, recherchierend, entdeckend und zielgruppenorientiert« beschreiben sich die »Hanix«-Macher in ihren Mediadaten.

Benannt haben die beiden Gründer und Herausgeber – Chefredakteur Robert Mucha und Verlagskaufmann Marcel Kantimm – ihren »FC St. Pauli der Unterländer Medienlandschaft« zwar nach dem urschwäbischen Ausdruck für Müßiggang (»Was machsch?« – »Ha nix!«), bewegen aber in ihrer Heimatstadt mittlerweile so einiges! INKA-Redakteur Patrick Wurster hat die Kollegen besucht und im Gespräch mit ROBERT MUCHA neben manch anderer Parallele erfahren, dass die beiden Blattmacher aus Heilbronn vor ganz ähnlichen Herausforderungen stehen, um trotz instagramisierter Zeiten mit einem lokal-regionalen Printprodukt erfolgreich zu sein.


Patrick Wurster:

Mit unserer anlassbezogen erscheinenden Zeitung »Super INKA« brechen wir aus dem auf Veranstaltungen fokussierten Pocket-Format unseres Stadtmagazins aus; Ihr verfolgt einen etwas anderen Ansatz und füllt euer zweimonatlich erscheinendes »Hanix« vornehmlich mit Longreads, geht aber auch relativ viel über bildhafte Ästhetik.

Robert Mucha:

Ich habe das Magazinmachen von 2004 bis 2009 als Redakteur bei »11 Freunde« gelernt und die Wertschätzung für Haptik, Layout und Bildsprache aus Berlin mit in die Heimat zurückgenommen. Als ich mich beruflich verändern wollte, war die klaffende Lücke in Heilbronn augenscheinlich; also habe ich das Feld besetzt – zusammen mit meinem Schulfreund Marcel Kantimm, der bei uns die Verlagskoordination innehat, während sich Maike Endresz um Anzeigenmarketing und Mediaberatung kümmert. Sie ist die geborene Relationship-Managerin und versteht es, bei unseren Kunden den passenden Tonfall an den Tag zu legen. Denn beim Anzeigenverkauf willst du nicht nerven, musst aber. Wir können uns dazu auf eine wirtschaftsstarke Region stützen und wollen trotzdem unabhängig sein, keinen Auftragsjournalismus betreiben.

Heute bietet »Hanix« drei Menschen einen Fulltime-Job. Darüber hinaus arbeiten immer wieder Leute auf 450-Euro-Basis für uns, dazu kommen Freelancer für Text und Bild sowie Layout und Vertrieb. An jeder Nummer sind schlussendlich um die 20 bis 30 Personen beteiligt. Den ursprünglichen Gedanken an ein regionales Sportmagazin, ich komme aus dem Sportjournalismus, haben wir wieder verworfen zugunsten eines Stadtgesellschaftsmagazins mit dem qualitativen Anspruch aus meiner »11 Freunde«-Zeit. So haben wir thematisch viel mehr Spielraum. Wir können Fußball genauso beackern wie Stadtgeschichte, Kulinarik oder Mystery wie in der 60. Ausgabe.

Du bist aber immer noch sehr fußballaffin, hast als A-Jugendspieler des VfR Heilbronn zur »Klasse von 96« gehört, die damals mit dem Gewinn des DFB-Pokals national für Furore gesorgt hat.

Ich habe allerdings bereits im Alter von 23 Jahren wieder aufgehört mit dem Leistungsfußball. Letztes Jahr sind wir aufgrund meiner engen Verbindung beim 2018 neugeründeten, aktuell in der Kreisliga B kickenden Nachfolgeverein VfR Heilbronn 96-18 als Sponsor eingestiegen und beraten den Klub auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. Der Fußball-Link ist definitiv da.

Mit der »Heilbronner Stimme« habt ihr eine auflagenstarke Tageszeitung vor Ort. Beharkt ihr euch in Sachen Themen und Anzeigen so wie wir in Karlsruhe mit den BNN, die nach Jahrzehnten des Dagegenseins inzwischen fast schon subkultureller daherkommen als INKA?

Ich sehe das pragmatisch: Das einzige, was wir beide machen, ist journalistische Texte und Fotos auf Papier drucken. Die »Stimme« hat 100 Redakteure und veröffentlicht dazu noch weitere Publikationen wie ihr Anzeigenblatt »Echo«. Das ist eine ganz andere Disziplin als das, was wir betreiben, auch in Sachen Anzeigenvermarktung.

Bei einer Tageszeitung werden Preise aufgerufen, die sich unsere Kunden teils gar nicht leisten können und wollen. Da ist unser direkter Wettbewerber eher das »Moritz« als auflagenstärkstes Stadtmagazin Baden-Württembergs.

Wobei wir uns von den »Veranstaltungskalendern« durch eine hochwertige Produktion schon immer deutlich abheben wollten.

Die »Stimme« muss jeden Tag eine Zeitung vollmachen; wir dagegen erscheinen sechsmal im Jahr mit round about 100 Seiten pro Heft – die fahren überspitzt formuliert unser Jahrespensum in nur einer Woche. Aber wir stoßen mitunter zwangsläufig auf dieselben Geschichten und natürlich informiert man sich hier wie da, wer was im Blatt hat. Somit kommen wir gar nicht darum herum, dass Geschichten auch mal zuerst in der »Heilbronner Stimme« laufen und dann thematisch von uns besetzt werden. Wir ziehen sie eben anders auf. Da habe ich überhaupt keinen Schmerz mit und betrachte das als unterschiedliche Sportarten.



Patrick Wurster:

Ihr habt einen bemerkenswerten Werdegang. 2011 als reines Onlinemagazin mit kleinem Darlehen und großem Anspruch gestartet, seid ihr in den damals schon lange kriselnden Printmarkt eingestiegen, obwohl du genau das in einem »Stimme«-Artikel kategorisch ausgeschlossen hattest (»Nur eines wird nie passieren: Dass wir in einer Print-Ausgabe erscheinen«). Woher kam der Sinneswandel?

Robert Mucha:

Wir haben als Flash-Magazin schon in Printanmutung produziert, die Onlineausgaben quasi nur nicht gedruckt und sind deshalb immer unter dem Radar geflogen. Dann kam aus der Leser- und Kundschaft die klare Ansage: Wenn es euch gedruckt gäbe, würden wir viel öfter reinschauen und schalten. Wir sind zu Onlinezeiten zehnmal pro Jahr erschienen – da ist es viel verlangt, sich immer wieder eigenständig an uns zu erinnern. Also haben wir nach 25 Onlineausgaben ab Frühjahr 2014 drei gedruckte »Best of«-Hefte u. a. mit Interviews und Titelthemen produziert, um auszutesten, ob’s mitgenommen wird und uns die Vermarktung erleichtert. Nachdem klar war, dass es funktioniert, ist nach 38 Onlineausgaben 2015 die erste Printausgabe Oktober/ November erschienen. Durch die Entscheidung zu drucken, sind wir im Stadtbild vom Bäcker über die Gastro bis zur Hochschule präsent, als Marke deutlich bekannter und als Medium relevanter geworden.

Wie geht ihr mit den ständig steigenden Papierkosten um und welchen Stellenwert hat online inklusive Social Media heute für euch?

Das mag jetzt reichlich naiv rüberkommen, aber ich kümmere mich um Inhalte und will mich durch Zahlen diesbezüglich nicht verrückt machen lassen. Ich kenne den Papierpreis nicht, habe noch nie auf unseren Kontostand geschaut. Das ist Marcels Bereich, den er im Auge hat. Er hat Verhandeln und Rechnen bei Kaufland gelernt – die ganz harte Schule. (lacht)

Unser Fokus liegt definitiv auf der Printausgabe, wobei uns bewusst ist, dass wir die nächste Generation an Lesern nur auf dieser Schiene nicht abholen werden. Wir sind also aktiv auf Facebook und Instagram und wollen insbesondere auf Instagram in Zukunft mehr experimentieren und diesen Kanal bespielen. Und sicher denken wir auch über Podcastformate nach.

Dass ihr mittlerweile Lidl zu euren Anzeigenkunden zählt, kam nicht überall gut an.

Wir sind kein Wohlfahrtsverein und wollen auch gar keiner sein. Dass es manche Leser gibt, denen Lidl-Anzeigen bei uns weniger gefallen, mag sein. Uns freut das Engagement des größten europäischen Handelskonzerns in unserem lokalen Magazin ungemein. Und es schafft etwas mehr Planungssicherheit. Im Anzeigengeschäft musst du mit Rabatten arbeiten, aber wir sind keine Rabattfeen, da waren wir von Anfang an relativ konsequent. Was nicht heißt, dass man nicht auch mal eine Anzeige »verschenkt«, wenn kleine, engagierte Unternehmen gar kein Werbebudget zusammenkratzen können, mit ihrem Angebot aber wichtig sind für die Stadt.

Wir haben den kompletten INKA-Magazinvertrieb mit mehreren Stadtund Überlandtouren inhouse, in der City fährt u. a. der Karlsruher Radkurier für uns. Wie organisiert ihr eure Verteilung?

500 unserer circa 1.000 Auslagestellen im Großraum Heilbronn versorgt ein selbstständiger Verteiler und Veranstalter, mit dem wir schon lange befreundet sind. Einen Teil, an ca. 100 Orte, verteilen Marcel und ich aber noch selbst; Etwa bei Stellen, wo sich die beiden Gründer hin und wieder sehen lassen sollten. Wir konzentrieren uns dabei aufs Stadtgebiet und die wichtigen größeren Gemeinden im Landkreis und der Region wie Neckarsulm, Brackenheim, Beilstein, Ilsfeld oder Öhringen; dazu kommen noch ca. 400 Arztpraxen und Rechtsanwaltskanzleien usw. über die Lesemappe. Man schätzt es, dass wir für Abwechslung in der Medienlandschaft sorgen, unsere 15.000er Auflage geht weg, wir produzieren relativ wenig Altpapier. Dabei musst du lesen wollen, wenn du dir ein »Hanix« mitnimmst. Es gibt sie also durchaus, die Leute mit Lust auf lange, gut gemachte Lesestrecken. Von daher wundert es mich überhaupt nicht, dass ihr auf eure »Super INKA«-Zeitung so viel positives Feedback erhalten habt.

Patrick Wurster:

Obwohl man Heilbronn nicht unmittelbar mit cool assoziiert (»Da ist doch nix los außer Stadttheater und Kunsthalle Vogelmann und überhaupt sind da doch eh alle stuttgart-orientiert«), mag zumindest manch einer von außen meinen …

Robert Mucha:

Wir sind hier aufgewachsen und in den 90ern fand ich Heilbronn durchaus cool! Subkulturell ging nach meiner Wahrnehmung früher etwas mehr, wir waren mit führend was elektronische Musik in Süddeutschland anbelangt, die ersten rein elektronischen Clubs sind hier aufgepoppt.

Es gibt attraktivere Städte, aber Heilbronn bietet spannende Menschen und Orte, die einen zweiten und dritten Blick wert sind! Zudem konnte man bei unserem Start schon absehen, welche Dynamik in die Stadt hineinkommt; vom 2010 eröffneten Bildungscampus über das ebenfalls ausgebaute experimenta Science-Center bis hin zur »Bundesgartenschau 2019«. Heilbronn bekennt sich zur Transformation von der Industrie- zur Wissensund Dienstleistungsstadt, was dann eine Publikation wie »Hanix« nochmals legitimiert.

Mit der »Schwarmstadt«-Initiative konnten wir vor gut einem Jahr ein Stadtentwicklungsthema anstoßen, das hier vorher noch keiner besetzt hatte – und jetzt hörst und liest du ständig davon. Das hat uns als kleine Medienklitsche noch mal deutlich nach vorne gebracht, was die Relevanz anbelangt. Ausgangspunkt war ein kooperatives Forschungsprojekt mit einer repräsentativen Studie der hiesigen DHBW und uns aus dem Sommer 2017 zur Lebensqualität in Heilbronn; heraus kam das mausgraue »Hanix«-Cover mit der Durchschnittsnote 3,2, die Bewohner von Stadt und Landkreis Heilbronn gegeben haben. Und die Erkenntnis: Es fehlt an Subkultur, Individual-Gastronomie und -Einzelhandel sowie Einbindung der Kreativwirtschaft. Wer die Studenten in der Stadt halten möchte, muss mehr bieten als ein geiles Gehalt, weil sie das als Fachkräfte in München und Berlin ebenso bekommen. Die jungen Leute mögen das Umland schätzen, wollen aber nicht immer nach Stuttgart, Karlsruhe, Mannheim oder Heidelberg fahren müssen, um etwas zu erleben. Dabei kann Heilbronn ein attraktiver urbaner Standort mit Anziehungskraft sein, auch wenn es in der Provinz liegt.

Über das »Wie« haben wir 2018 drei Veranstaltungen mit dem Who’s who aus Bildung, Wirtschaft, Kultur, Politik und Verwaltung aufgezogen. So kam es, dass wir mittlerweile auch Workshops organisieren, etwa im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums zum Thema Schnittstellen mit der Kreativwirtschaft; in Planung ist ein selbstkreiertes Format zur »Fachkräftegewinnung für den ländlichen Raum«. Kurz gesagt: Seit der »Schwarmstadt«-Nummer hat man uns auf dem Radar.

Dabei standet ihr noch 2017 ausgerechnet zur Jubiläumsausgabe Nummer 50 kurz vor dem Aus.

Wenn man so hochwertig druckt wie wir, seine Autoren anständig bezahlt, und zusieht, dass jeder, der mitarbeitet, ein vertretbares Honorar erhält oder zumindest geldwerte Leistungen, dann kostet das. Im Juni 2017 war absehbar, dass wir im August eine Lücke von 16.000 Euro haben werden und nicht mehr bereit sind, ein weiteres privates Darlehen aufzunehmen. Aufgrund eines sehr emotionalen Leserimpulses, die davon Wind bekamen, haben wir die Schieflage öffentlich gemacht. Unsere Leser haben uns überzeugt, dass sie eine Chance verdienen, uns etwas zurückzugeben. Das klingt sehr »cheesy«, es ist aber tatsächlich so gewesen. Und so wurde die Jubiläumsparty vor der Kunsthalle Vogelmann zur Retterparty.

Wir haben ein kleines Merch-Sortiment aufgesetzt und das SupporterAbo ins Leben gerufen, wofür wir bis heute eine eigene Edition mit Extra-Cover und dem Vermerk »Bezahltes Abo-Heft – Danke für deine Unterstützung« herausgeben. Die rund 500 Abonnenten sind bemerkenswerterweise nur Exil-Heilbronner, sondern auch Leute aus dem Stadtgebiet, die sich ihr »Hanix« ebenso gut umsonst besorgen könnten, aber unter dem Unterstützergedanken gerne ihre 40 Euro im Jahr bezahlen. Auch die Anzeigenkunden haben vermehrt gebucht, damit wir weitermachen. Das hält immer noch an.

Seither konnten wir uns auf einem hohen niedrigen oder unteren mittleren Niveau deutlich stabilisieren. Schonungslose Ehrlichkeit war der richtige Move – unsere Leser und unsere Anzeigenkunden haben uns gerettet!

Kurz vor der Offenbarung seid ihr beim ersten »Ideenstark«-Wettbewerb des Landes für Kultur- und Kreativschaffende in Baden-Württemberg ausgezeichnet worden. Habt ihr von der Stadt Heilbronn keine Rückendeckung für euren inhaltsbezogenen Kurs?

Die Auszeichnung hat für zusätzliche Aufmerksamkeit gesorgt. In diesem Zug wurden wir Anfang Juni 2017 vom Oberbürgermeister eingeladen – und danach haben wir beschlossen, aufzuhören. Wir hatten konkret nach Unterstützungsmöglichkeiten der Stadt und der städtischen Gesellschaften gefragt. »Die Nachfrage regelt den Markt«, lautete die lapidare Antwort aus dem Rathaus. Man könne uns nicht helfen. Dabei machen wir im Prinzip das beste Stadtmarketing und dann kommt, aus unserer Sicht, zu wenig Unterstützung von der Stadt.

Natürlich fahren wir nicht immer auf Kuschelkurs: Eine Satire unseres Kolumnisten Oliver Maria Schmitt, gebürtiger Heilbronner, Ex-Chefredakteur und Mitherausgeber der »Titanic«, zur OB-Wahl 2014 hatte z. B. Anzeigenstornierungen aus der Privatwirtschaft zur Folge … Auf der Buga 2019 wird Schmitt nun auf ausdrücklichen Wunsch des OB im Heilbronner Pavillon auf Videoscreens durch die Stadt führen. Aber grundsätzlich arbeiten wir mit der Verwaltung ganz gut zusammen – im Verhältnis dazu, was wir für Heilbronn tun, könnte allerdings schon noch ein bisschen mehr Support kommen. So selbstbewusst sind wir mittlerweile.

Dass wir mit unserer Art des Magazinmachens einen als attraktiv wahrgenommenen Mix der Stadtgesellschaft erreichen, zeigt sich an der Heilbronn Marketing GmbH HMG: Dort sind die »Hanix People« im internen Sprachgebrauch eine eigene Zielgruppe.