Sascha Lobo – Über digitale Rückständigkeit und Marketingtipps

Sascha Lobo – Über digitale Rückständigkeit und Marketingtipps

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HANIX #44 // Von Robert Mucha // Fotos: Reiner Pfisterer

SASCHA LOBO, Blogger, Autor und Journalist ist ein Experte auf dem Gebiet der digitalen Medien und Vermarktung. Wir sprachen mit dem gebürtigen Berliner und SPIEGEL Online-Kolumnisten über seine Frisur, Deutschlands digitale Rückständigkeit und Marketingtipps für Heilbronn.

Hanix:

Du behauptest, dass deine Frisur für deine Selbstvermarktung sehr wichtig war und ist. Um wie viel Prozent geringer wären deine, wie du selbst sagst, unerhört hohen Vortragshonorare, wenn du beispielsweise Markus Lanz’ Frisur auftragen würdest?

Sascha Lobo:

62,7 Prozent niedriger, das habe ich ausrechnen lassen! Nein, im Ernst – obwohl ich häufig damit kokettiere, dass meine Frisur nur Marketing sei, ist das eigentlich gar nicht so. In Wahrheit trug ich schon immer einen Irokesenschnitt »im Inneren« und irgendwann ist er dann herausgewachsen. Der Iro ist ein Signal, mit dem ich zeigen kann, dass ich mich bestimmten Konventionen nicht beuge. Viele finden beispielsweise die Kombination aus Anzug und Irokese lächerlich, aber ich spiele gerne mit Lächerlichkeit. Wenn viele schon von vornherein die Nase rümpfen, lebt es sich eben ungenierter. Dennoch spielt der Marketingaspekt meiner Frisur natürlich trotzdem eine Rolle; gerade der Wiedererkennungswert, der eine wichtige Funktion für mich erfüllt.

Deine Frisur ist Vermarktungstool, weil Menschen, wie du sagst, »Augentiere« sind. Der Iro ist dein Erkennungsmerkmal. Dadurch ist unerkanntes privates Sein im öffentlichen Raum für dich doch passé? Ist das der Preis, den du privat für deine berufliche Vermarktung zahlen musst, oder hast du gute Verkleidungen im Schrank?

Ich habe überhaupt nichts dagegen, erkannt zu werden, das ist gar kein schlechtes Gefühl. Wenn ich allerdings mal inkognito das Haus verlassen möchte, muss ich einfach nur eine simple Mütze aufsetzen und schon erkennt mich niemand mehr. Das fühlt sich dann fast an, wie mit einer Tarnkappe.

Ist die Frisur denn auch praktisch oder eher pflegeintensiv?

Sie ist total pflegeleicht. Ich nutze den stärksten Haarlack, den es gibt und bis die Frisur steht, dauert es meistens nicht mal 60 Sekunden. Zusätzlich gehe ich alle zwei bis vier Wochen zum Frisör.

Dein Vortrag von heute hatte den Titel »Digital ist manchmal radikal – Risiko und Chance für das Marketing!«. Welches Risiko hat deine Frisurveränderung damals beinhaltet? Und war die neue »Friese« überhaupt ein radikaler Marketing-Schritt?

Nicht wirklich, ich habe das als spielerische Annäherung verstanden. Als ich das Buch damals gemeinsam mit meinem Co-Autor Holm Friebe auf der Frankfurter Buchmesse auf dem »Blauen Sofa« vorstellte, hat mir die Frisur aber schon geholfen. Auf dem Sofa werden über den gesamten Zeitraum der Messe Autoren von ARTE und dem ZDF interviewt und die besten Parts werden dann für eine Sendung zusammengeschnitten. Es werden also nur die besten und interessantesten Autoren im TV gezeigt. Da ich mich weder zu den besten noch kreativsten Autoren zähle, hatte ich mir damals gedacht, dass eine auffällige Frisur meine Chancen erhöhen würde, aus der Masse herauszustechen. Und genau so war es am Ende dann auch: Eine kleine PR-Maschine kam in Gang und ich habe gemerkt, dass es mit dem Irokesen gut funktioniert.

Die Frisurveränderung war eindeutig analog, die du, so unsere Empfindung, digital aber wenig spielst. Dein Logo beispielsweise ist ein Laptop mit Flügeln. Ein Iro-Icon sucht man vergebens …

Mein Icon, das ich im Netz, z. B. auch bei SPIEGEL Online, verwende, ist aber ein Foto von mir, auf dem man den Irokesen deutlich sieht, eben wegen des Wiedererkennungswerts. Ich versuche jedoch nicht, die Frisur in den Vordergrund zu stellen – denn irgendwann ist ja auch mal gut. Ich habe einen Irokesen, die meisten wissen das, also muss ich es nicht noch auf einer Fahne durch die Gegend tragen. Deshalb sage ich in Interviews gar nichts dazu, außer, ich werde gefragt – so wie jetzt.

Du sagst: »Eine visuelle Unterscheidbarkeit halte ich für essenziell.« Also niemals am Grafiker sparen?

Jein – ich habe ein gespaltenes Verhältnis zum Thema Grafik insgesamt. Es gibt leider sehr viele Gestalter, die ihre Arbeit als kreativen Selbstzweck begreifen und so gar nicht merken, dass sie im Auge des Orkans der Usability stecken – die Gestaltung der Interfaces, durch die wir Produkte wahrnehmen, entscheidet schließlich über Sieg und Niederlage des Produkts. Autos beispielsweise werden inzwischen wegen ihrer Software gekauft, die der Nutzer schließlich über ihr Interface wahrnimmt. Insofern ist Gestaltung aus meiner Sicht so unfassbar zentral, dass man sie nicht alleine den Grafikern, sondern auch denen, die visuelle Konzepte erarbeiten, überlassen sollte. Das geht über die grafische Gestaltung hinaus und erfordert eine hohe denkerische, konzeptionelle und strategische Leistung. Denn die Gestaltung von Software ist marktentscheidend und insgesamt die wichtigste Aufgabe in der digitalen Welt.


Funktionierendes Stadtmarketing stellt Lebensqualität in den Mittelpunkt.


Hanix:

Optimales Marketing entsteht, wie du sagst, wenn man eine visuelle Wiedererkennbarkeit mit einer inhaltlichen Position verbindet und es schafft, diese Kombination geschickt in den Medien zu platzieren. Weil in unserer Heimatstadt aktuell ein neues Marketingkonzept gesucht und erarbeitet wird, interessiert uns: Fällt dir aus dem Stegreif ein Stadtmarketing ein, das dich anspricht und überzeugt?

Sascha Lobo:

Es gibt eine ganze Reihe von Stadtmarketing-Bemühungen, die ich nicht schlecht finde, das gesamte Genre ist auf dem Vormarsch. Heute kann man theoretisch mit einem Laptop und Smartphone überall arbeiten, also rückt der Ort in den Vordergrund. Funktionierende Stadtmarketing-Konzepte sind also solche, die sich nicht nur wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich vermarkten, sondern ihre Lebensqualität in den Mittelpunkt stellen. So beispielsweise Berlins »arm aber sexy«Ruf, der genau die richtige Botschaft sendet: Lass alles andere weg, es ist eben einfach geil, hier zu leben.



ZUR PERSON:

Sascha Lobo, Jahrgang 1975, studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Universität der Künste in Berlin. Er arbeitet als Autor und Strategieberater mit den Schwerpunkten Internet und Markenkommunikation für Kunden wie die Deutsche Messe, die Fraunhofer Gesellschaft und VW. Er hält Vorträge über die digitale Welt von Social Media bis zu digitalen Arbeitsprozessen für Unternehmen wie Siemens, Lufthansa oder Wincor Nixdorf.

Seit Januar 2011 schreibt er die wöchentliche Kolumne »Mensch-Maschine« auf Spiegel Online. Mit verschiedenen Coautoren (Holm Friebe, Kathrin Passig, NEON) verfasste er Sachbücher zu den Themen Arbeit, Netz und Gesellschaft. 2010 veröffentlichte er seinen ersten Roman »Strohfeuer«. Für das Gemeinschaftsblog Riesenmaschine.de erhielt er 2006 den Grimme Online Award, 2007 den Erik-Reger-Literaturpreis (Förderpreis) und andere Auszeichnungen. Zuletzt erschien im Oktober 2012 sein Buch »Internet – Segen oder Fluch«, geschrieben gemeinsam mit Kathrin Passig.

Hanix:

Heilbronn, da lehnen wir uns nicht zu weit aus dem Fenster, ist eher eine konservative Stadt, mit großem Rotweinanbaugebiet, starker Wirtschaft, einem milliardenschweren Stadtmäzen, wachsenden Studentenzahlen, sauberen Straßen, dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen Deutschlands und nordwürttembergischer Strebsamkeit.

Dem Gegenüber stehen eher weiche, aber medienträchtigere Heilbronner Themen, wie der NSU-Polizistenmord, von hier stammt ein ehemaliger Titanic-Chefredakteur, ein Bundesliga-Rekordhalter, der Erfinder des Autos, Schauspielerin Sibel Kekilli, Tagesthemen-Anchor Thomas Roth oder Künstler Anselm Reyle. Darüber hinaus gibt es keinen IC(E)-Anschluss, die Bundesgartenschau kommt samt aus dem Boden gestampftem Stadtteil und die architektonisch eindrucksvolle Erweiterung des Science-Centers experimenta lässt die Stadtoberen vom Bilbao-Effekt träumen.

Auf welche Schiene würdest du aus dem Bauch heraus setzen, um für junge Studenten, Touristen sowie Nachwuchs- und Führungskräfte als Stadt attraktiv zu wirken?

Sascha Lobo:

Eines der am besten funktionierenden Konzepte, die man zurzeit haben kann, ist eine aggressive, digitale Infrastruktur-Offensive. Wenn man also sagen könnte, dass Heilbronn die Stadt mit dem schnellsten Internet ist und stadtweites, kostenloses, unglaublich schnelles WLAN bietet, wäre das auf der einen Seite zwar nicht besonders günstig, auf der anderen jedoch mit hundertprozentiger Sicherheit genau das, was die meisten Leute und die Leute, die man anlocken will, nach Heilbronn ziehen würde.

Denn Deutschland ist, was die digitale Infrastruktur angeht, ein Entwicklungsland. Im europäischen Vergleich bei Glasfaser­kabelanschlüssen liegt Deutschland auf dem letzten Platz mit einer Abdeckung von gerade mal einem Prozent! Der europäische Schnitt liegt zwischen 30 und 40! Wenn man hier also den Hebel ansetzen würde und Heilbronn als die Stadt mit dem schnellsten Netz vermarkten würde, dann würden Menschen hier ihre Start-Ups gründen und ihre Kulturprojekte durchführen wollen.

Unser Titelthema beschäftigt sich mit der freien Kultur- und Kreativszene Heilbronns. Wie wichtig ist im Wettbewerb der Städte eine vielfältige, freie urbane Kunst- und Kulturszene? Ist sie überhaupt ein entscheidender Standortfaktor für die Zukunft oder zu vernachlässigen?

Ich behaupte, dass das genau der Punkt ist, der junge, gebildete Menschen in eine Stadt locken kann. Allerdings bin ich vielleicht auch der Falsche für diese Frage, da ich ein so großer Fan davon bin, dass ich immer sagen würde, dass es das Wichtigste ist. Attraktive Standorte zeichnen sich eben nicht dadurch aus, dass die Müllabfuhr um exakt 8:37 Uhr kommt, sondern dadurch, dass es ein attraktives, vielseitiges und schräges Kulturangebot gibt.

Hanix:

Welche Empfehlungen bezüglich der Förderung von freier Kunst, Kultur und Kreativität würdest du einer Stadt ins Hausaufgabenheft schreiben?

Sascha Lobo:

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage, auf die ich keine eindeutige Antwort habe. Grundsätzlich sollte, wie ich schon erwähnte, in die Infrastruktur investiert werden, mit der ich aber nicht nur Digitales meine: Kann sich beispielsweise ein junger Künstler ein Atelier leisten? Es geht also weniger um das Verteilen von Geldern, sondern um das Errichten einer Infrastruktur, in der sich junge Leute etwas aufbauen können.

Beim Vermarkten sind die Medien wichtig. Sind heute die digitalen oder analogen Medien die entscheidenderen? Oder doch die klassische Mitte, das gute Zusammenspiel beider?

Noch ist es das Zusammenspiel beider, allerdings wird das Digitale in absehbarer Zeit dramatisch überwiegen. Das große Problem, das momentan weltweit sichtbar wird, ist jedoch das der Finanzierung digitaler Medien. Die Werbelandschaft im Gedruckten hat über Jahre gut funktioniert und war somit tauglich für die Refinanzierung, was jedoch immer weniger der Fall ist. Die Verluste, die jetzt im Printgeschäft gemacht werden, werden durch das Digitale jedoch nicht aufgefangen. Hier muss also viel getan werden, um die digitalen Inhalte refinanzieren zu können.

Wir haben uns von einem – zugegeben auf Flash basierten Onlinemagazin zu einem Printmagazin hinentwickelt. Und es hat in jeglicher Hinsicht Sinn für uns gemacht, ins Analoge zu wechseln. Warum?

Deutschland ist strukturell eines der ältesten Länder der Welt und somit hängen wir bei den Mediengewohnheiten den restlichen Industrieländern immer zwei bis fünf Jahre hinterher. Es ist also tatsächlich so, dass Printmagazine hier noch einen höheren Stellenwert als in anderen Ländern genießen. Zusätzlich gibt es in der digitalen Welt eine Ungleichzeitigkeit (diesen Begriff habe ich mir von Ernst Bloch geborgt), was bedeutet, dass eben nicht alles überall gleichzeitig passiert. Das kann also bedeuten, dass man mit einem gut gemachten Printmagazin für eine kleinere Zielgruppe durchaus noch zehn Jahre Erfolg haben kann.

Sicher ist nur, dass die Zukunft digital sein wird, ob das jetzt in drei oder 25 Jahren sein wird, weiß man nicht.

Nochmals zur Kunst. Uns hat es fasziniert, dass ein kleines Schmähgedicht, das in einem Nischensender vorgetragen wurde, durch die digitalisierte Welt und Soziale Netzwerke, die Kraft entwickeln konnte, den Koloss Europäische Union, aber auch unsere Kanzlerin, ins Wanken zu bringen. War es sozusagen der X-Flügler der kreativen Rebellen-Allianz. Oder wie hast du das Böhmermannsche Schmähgedicht eingeordnet?

Ich habe das etwas anders gesehen. Ich glaube beispielsweise nicht, dass irgendetwas ins Wanken geraten ist. Ich glaube, dass Jan Böhmermann, den ich ein bisschen kenne, einfach ein Streichholz in eine längst bereitliegende Öllache geworfen hat – was ja seine Aufgabe sein kann. Allerdings ist das eine weltpolitische Situation, in der schnell etwas eskalieren kann – was jedoch viel weniger an Herrn Böhmermann, sondern viel stärker an diesem irrwitzigen, faschistoiden Typen liegt, der die Demokratie in der Türkei gerade zu einem hyperautoritären Präsidialsystem umbaut.

Jan Böhmermann ist hier »nur« der Narr gewesen, der den richtigen Stich zur richtigen Zeit gesetzt hat. Das ist allerdings auch eine Fähigkeit, für die man Gespür braucht und die man bewundern kann. Da aber auch so viel Applaus von der falschen Seite kam, muss man sich Fragen, wie man damit umgeht. Die Frage muss sich aber Jan Böhmermann stellen und nicht ich.

Digital ist manchmal radikal hieß es heute. Analog kann aber viel radikaler sein. Zum Beispiel durch eine Frisurveränderung. Wann wird es die bei dir geben? Oder wäre das zu radikal?

Die wird es nicht geben, weil sie mir so gut gefällt. Und dadurch, dass man eine Frisur auf dem Kopf hat, muss ich sie mir auch nicht den ganzen Tag anschauen, was es sehr viel leichter macht, damit zu leben. Aber man soll ja niemals nie sagen und vielleicht kommt irgendwann mal der Zeitpunkt, an dem ich etwas anderes probieren möchte.