Wirtschaft im Wandel – Aber wohin?

Wirtschaft im Wandel – Aber wohin?

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HANIX #42 // Von Brigitte Fritz-Kador // Fotos: Memo Filiz

Über uns nicht nur der blaue Himmel, sondern die »Cloud«! Welch Glück für die Menschheit und für Unilever-Knorr, dass wir noch ganz »real« satt gemacht werden müssen, aber füttern werden Altersheimbewohner demnächst Roboter, auch solche, die in der Region entwickelt und gebaut wurden.

Der Wandel der Wirtschaft ist auch der Wandel der Gesellschaft. Wie sieht es damit aus in Heilbronn? Eine spannende Frage mit so vielen Antworten und wenn auch nicht alle darstellbar sind, das Bild das sich daraus formt, regt zum Nachdenken an.

In der Woche vor der Landtagswahl stellte die FAZ dazu fest: »Kretschmann nimmt man es durchaus ab, dass er in der digitalen Revolution die Chance sieht, das Streben nach Wohlstand und die Ökologie zu versöhnen, sei es durch intelligente Verkehrssteuerung, Materialeinsparung oder individualisierte Medizin. In der Wirtschaft kommt die Freude der Landesregierung an der Innovation durchaus gut an. Man will schließlich die Spitzenposition behaupten, auch langfristig.

Die Spitzenpostion behaupten, das will auch Heilbronn. In welche Zukunft gehen wir? Was ist davon begreifbar, weil zu begreifen, was nur noch denkbar? Die Füße auf der Erde, der Kopf in der Cloud, die richtige Startposition in die Zukunft?

Vielleicht haben auch deshalb Philosophen Hochkonjunktur, gerade dann, wenn es um wirtschaftliche Fragen geht, wenn sich die Realität zu verflüchtigen scheint. Auf der Suche nach Antworten hat die GGS Richard David Precht eingeladen, die IHK Philipp Hübl. In der experimenta II wird Ethik ein Element der Wissensvermittlung sein.

Real aber ist dieses: wohin man schaut in Heilbronn, was immer man hört oder liest: Fast nur positive Eckdaten!


Nach den neuesten IHK-Zahlen zur Entwicklung der Beschäftigten entfielen von den im vergangenen Jahr rund 10.100 zusätzlichen Arbeitsplätzen in Heilbronn-Franken die meisten auf den Bereich der Dienstleistungen. Hier nahm die Zahl um rund 6.000 auf 157.100 zu. Im produzierenden Gewerbe stiegen die sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze um 3.300 auf 161.700. Und auch wenn diese Daten des Statistischen Landesamtes nicht taufrisch sind, in der Region sind im Vergleich zu allen anderen in Baden-Württemberg schon seit 2000 die meisten Arbeitsplätze entstanden – und zwar »echte«, d. h. sozialversicherungspflichtige Vollzeitarbeitsplätze. Im Jahr 2013 lag deren Zahl deutlich über 500.000, allein in Heilbronn zählte man 103.067 Erwerbstätige – bei einer Einwohnerzahl von ca. 125.000.

Also alles gut, oder muss man sich doch Sorgen machen?

Einfach formuliert: Mensch und Maschine »verschmelzen«. Der Roboter ersetzt den Arm, und bereits auch den Kopf? Beim Neujahrsempfang 2016 hat OB Harry Mergel es vor den Heilbronner Bürgern ausgesprochen – »die Heilbronner Wirtschaft ist im Wandel«. Wie ist man in Heilbronn aufgestellt für den Wandel in der Wirtschaft? Es wird eine Berg- und Talfahrt.


Kaum haben wir – dank des Computers – die dritte industrielle Revolution bewältigt, da ist die Vierte schon da: »Industrie 4.0«.


Wie OB Harry Mergel im Hanix-Gespräch zu eben diesem Thema anmerkt, hat Heilbronn das größte zusammenhängende städtische Industriegebiet in Baden-Württemberg, die Wiege der Prosperität Heilbronns. Es steht bis heute für ein beispielhaftes Riesenpotential an Gründergeist, Aufbruchstimmung, Mut, Erfindungsreichtum, Weltoffenheit, Innovation und schwäbischem Tüftlergeist.

Wenn OB Harry Mergel mit unverhohlenem Stolz darauf verweist, dass Heilbronn im Städteranking 2015 der »Wirtschaftswoche« und auch anderer Publikationen, Platz drei bei den dynamischen Städten in Deutschland erobert hat, dann wünscht man sich, dass das nicht nur eine Momentaufnahme ist, sondern von ähnlich anhaltender Wirkung wie vor ca. 150 Jahren. Ist die Fokussierung auf die allgegenwärtigen Handlungsfelder die richtige, was wird bei der Industrie im Wandel als Folge ausgeblendet, was wird auf der Strecke bleiben und wie hat sich Heilbronn hier positioniert? Wer gibt in Heilbronn die Antwort auf diese Fragen?

Die Blickrichtung »Wohlgelegen« ist sicher richtig, für einen Panoramablick reicht es nicht: unübersehbar rückt der Containerhafen als Mahnmal gutgemeinter aber offenbar nicht gutgemachter Initiative in den Blick. Vielleicht kommt seine Zukunft noch, bei der Stadt und der IHK will man gerne daran glauben, dass 17 Millionen (11 Millionen Euro trug der Bund, der Rest wurde das Schlagwort »trimodal«, der Verkehr auf Straße, Schiene und Wasser, ist mit dem Containerterminal in den Heilbronner Sprachgebrauch gekommen. Die Lösungen für die Verkehrsproblematik in Stadt und Region ziehen sich wie Kaugummi. Für den Ausbau der A6 fließt seit Jahren der Schweiß der edlen Streiter dafür in Politik und Wirtschaft literweise, geflossen wären sogar schon längst private Mittel für die Vorfinanzierung der Planung. Jetzt muss man auch den jüngsten Dämpfer für einen Autobahnanschluss der »Böllinger Höfe« verdauen und darf bei den Bettel- und Bittgängen um einen IC-Anschluss für Heilbronn nicht verzagen. Die Bemühungen um den A6-Ausbau sind ein gutes Beisiel für das »interkommunale Handeln«, das nach Ansicht von OB Mergel immer sicherer wird.

Das klingt aber auch ein wenig nach Trost in Blick auf die abgewanderten Unternehmen. Eines davon ist Losberger, einst ein Heilbronner Familienbetrieb. Er lieferte Markisen und Planen, dann Zelte, produziert heute Großzelte, Container, die Flüchtlingen ein erstes Dach überm Kopf bieten, Event- und Messehallen. Keine Fashion Week in Berlin, keine Olympischen Spiele in Peking oder London, wo nicht die Produkte aus Bad Rappenau stehen. Die Dieffenbacher GmbH Maschinen- und Anlagenbau in Eppingen hat vor 140 Jahren als Schlosserei angefangen, heute beschäftigt sie etwa 1800 Mitarbeiter an 17 Produktions- und Vertriebsstandorten, ist weltweit ein führender Hersteller von kompletten Produktionsanlagen für die Holz-, Automobil- und Zuliefererindustrie. Nicht viel anders ist es bei Schunk Spann- und Greiftechnik in Lauffen, mittlerweile weltweit am Markt. Ein Pionier im Bereich Robotik, eine Weltfirma, die 1945 in einer Garage in Lauffen ihren Anfang nahm mit den Wurzeln im schwäbischen Tüftlergeist. Diesen kann man auch aus der Türkei mitbringen, so wie Cengiz Öztok (Tecrob GmbH), der erzählt, dass er mit 50 Euro in der Tasche von der Türkei ins Unterland kam und heute in Neckarsulm seine Roboter tanzen lässt.


Genau diese Beispiele hat der Heilbronner Unternehmer und Investor Ralf Klenk vor Augen, wenn er sagt, dass das grundsolide Handwerk als Basis wirtschaftlichen Erfolgs unverzichtbar ist, ein Pfund, mit dem man in Heilbronn besonders wuchern könne.

Klenk ist da ganz unverdächtig »pro domo« zu reden, er hat selber 1983 eine Weltfirma mitbegründet und geführt, die Bechtle AG, die heute mit 66 IT-Systemhäusern in 14 Ländern und über 7000 Mitarbeitern europaweit agiert, global vernetzt und im Technologieindex TecDAX notiert ist und 2014 rund 2,6 Milliarden Euro umsetzte. Kennengelernt haben sich die drei damaligen Gründer an der Hochschule Heilbronn. Gewachsen aus seiner Lebenserfahrung hat Klenk hochprominente Unterstützung: die Argumente des Philosophen und ehemaligen Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin. Er fordert eine Rückbesinnung auf die europäischen universitären Traditionen (z. B. einer unabhängigen Forschung) und auf die Stärken der dualen Ausbildung in Deutschland. Dass Heilbronn gerade im Hinblick auf die Duale Bildung das große Los gezogen hat, zeigt sich jetzt schon als Erfolgsfaktor für den Wandel in der Industrie. Die DHBW auf dem Bildungscampus der Schwarz-Stiftung wächst und wächst, jetzt muss nur noch der Mangel an Fachkräften kleiner und kleiner werden.

Ob und unter welchen Voraussetzungen Heilbronn und die Region die vierte industrielle Revolution schaffen beurteilt Elke Döring, IHK-Geschäftsführerin, so: »Die Region Heilbronn-Franken hat hervorragende Ausgangsbedingungen um die Chancen der vierten industriellen Revolution erfolgreich zu nutzen. Im internationalen Maßstab wirken unsere Unternehmen entscheidend und gestaltend mit. Darüber hinaus sind leistungsfähige und sichere Netze weitere Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen digitalen Wandel.«

»Netze«, das ist das Stichwort vor Dr. Georg Mattheis. Als Geschäftsführer der 2014 gegründeten Xenios AG, unter deren Dach zwei zfhn-Beteiligungen, die Novalung GmbH, weltweiter Technologieführer für künstliche Lungen und der Blutpumpenhersteller Medos AG, agieren, ist ein Leuchtturm innerhalb des Leuchtturmprojektes Zukunftsfonds Heilbronn (zfhn). In diesem Jahr und 2017 wird Xenios zwei »first of a kind«-Produkte auf den Markt bringen: »i-cor«, das erste Herzunterstützungssystem, das sich dem Pulsschlag des Patienten anpassen kann und derzeit an den SLK-Kliniken erprobt wird und »i-lung«, die weltweit erste künstliche Lunge, die sich mobil am Körper tragen lässt. Dies nach acht Jahren Vorlauf – in den USA hätte man es in zwei Jahren schaffen können, sagt Mattheis im Hinblick darauf wie sehr bürokratische Reglementierung den Fortschritt hindert. Mattheis ist dennoch überzeugt, dass er die Xenios-Erfolge den Start-up-Bedingungen des »zfhn« verdankt: »Heilbronn entwickelt sich gut, was aber noch fehlt ist ein »Ansprechpartner«, eine Institution, die, auch ohne großen Aufwand, dabei ist.« Er nennt als Beispiele Städte in den USA und in Israel, die sich bei Startups, oft in ganz überschaubaren Dimensionen, als Co-Investoren betätigen: »Das ist ein Signal!«


Von solchen Verhältnissen ist man in Heilbronn noch entfernt. Hier muss man in allernächster Zeit erst einmal die Hausaufgaben in Sachen »Wirtschaftsförderung« machen. Ein einziger Sachbearbeiter im zuständigen Dezernat von Finanzbürgermeister Martin Diepgen ist nicht üppig. OB Harry Mergel, dem das Thema durchaus am Herzen liegt und der damit auch Wahlkampfversprechen abarbeitet, verspricht noch für März eine Lösung. Elke Döring umreißt den IHK-Standpunkt so: »Wesentlich für eine erfolgreiche Wirtschaftsförderung ist die themenübergreifende Zusammenarbeit regionaler Akteure. Darauf müssen wir aufbauen und gemeinsam Projekte definieren.« Harry Mergel sagt: »Heilbronn ist der Motor der Region.« Man wird sehen, wie er anspringt. Dass der »Motor Stadt« auch mal hochtourig laufen kann, zeigte sich bei der Ansiedlung von Audi in den Böllinger Höfen. Um endlich wieder – nach dem Weggang von Fiat – Auto stadt zu werden, also Produktionsstandort, bewies man auf dem Rathaus größte Flexibilität in allen Bauangelegenheiten.

Wo hat Heilbronn sonst noch Potential für Industrie- und Gewerbeansiedlungen? Die Böllinger Höfe sind fast »ausverkauft«, die Reserven für die Audi-Expansion vorgesehen. Der letzte »weiße Fleck« sind die »Steinäcker«. Oder doch nicht?

Das »alte« Industriegebiet könnte eine einzige große »Spielwiese« von Ideen und Innovation für die nächste Generation werden.

In London erhielt gerade »Assemble«, ein aus 18 jungen Architekten, Designern und Künstlern bestehendes Kollektiv, den wichtigsten Preis für zeitgenössische Kunst, den Turner-Preis, für ihr Projekt »Granby Four Streets« im Liverpooler Arbeiterviertel Toxteth. Assemble unterstützte die Bewohner der Granby Four Streets im Kampf gegen den Abriss ihrer verfallenden Häuser und beim Sanierungsprozess. Kleine kollektive Unternehmen wurden gestartet, Arbeitsplätze geschaffen und es geht weiter. Mit Sozialromantik hat das nichts zu tun, das ist der Torf, auf dem Innovationen wachsen.

In Heilbronn herrscht da eher Ausverkaufstimmung. Die frühere Immobilientochter der Bundesbahn, »Aurelis«, hat gerade an zwei Familiy Offices im Heilbronner Industriegebiet an der Salzstraße einen voll vermieteten Industrie- und Gewerbepark mit 15.800 Quadratmetern verkauft: »Das Areal ist durch viele mittelständische Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen geprägt. Der nahegelegene Binnenhafen und die Verbindung zur A6 machen den Standort vor allem für produzierendes Gewerbe attraktiv« lobt Aurelis das Objekt in Heilbronn. Die Transaktion ging völlig am Rathaus vorbei. Den 50.000 Quadratmeter großen Telefunken-Park bei der Theresienwiese hat vor Kurzem eine Schweizer Investmentgesellschaft erworben. Baubürgermeister Wilfried Hajek konnte das nur so kommentieren: »Als Stadt haben wir allergrößtes Interesse daran, dass auf dem Areal auch weiterhin hochwertiges Gewerbe seinen Standort hat. Sollten Nutzungsänderungen angestrebt werden, müssten sie selbstverständlich mit dem dort geltenden Planungs- und Baurecht in Einklang stehen.« OB Harry Mergel räumt ein, dass man schon viel früher hätte beginnen müssen z. B. auch im Industriegebiet Gelände aufzukaufen und schreibt dies einer falschen Fixierung nur aufs Sparen im städtischen Haushalt zu. Aber die Vorstellung, wenigstens jetzt für die Entwicklung des Industriegebietes einen Masterplan zu erstellen gibt es nicht.

Wenn auf einer Brache voller Altlasten eine blühende Landschaft entsteht, entsteht auch Neuland. Den Innovationsschub, der von der Buga ausgeht, kann man noch nicht abschätzen, vorstellen aber kann man sich, was bleibt. In der unmittelbaren Nachbarschaft hat der »zfhn« schon vor zehn Jahren Neuland betreten. Was da entstanden ist, sendet Impulse bis weit in die Zukunft hinein. Private Geldgeber geben Kapital und Knowhow, nicht nur als Starthilfe, sondern als Begleiter auf einem oft langen Weg zum Erfolg. Hier hatte man ein Ziel vor Augen: ein Silicon Valley für Heilbronn, die Ansiedlung völlig neuer Branchen – und eben nicht nur Dienstleister im IT-Bereich, sondern vor allem als Produzenten von Medizin- und Biotechnik. Zfhn-Geschäftsführer Thomas Villinger sagt: Man wollte hier etwas ganz anderes und ganz neues für Heilbronn – und das ist wohl geglückt.

»Grüner« und meßbar zum Wohle der Menschheit geht es im Zukunftspark zu. Was der zfhn im Zukunftspark mitträgt, taugt mit als bestes Beispiel für den industriellen Wandel in Heilbronn – und zeigt, wohin es gehen kann. Thomas Villinger nennt dazu ein großes Ziel: Der zfhn will in den Jahren 2016 bis 2020 Heilbronn zu einer einmaligen »Gründer-City« machen. Das kann man schon postulieren, wenn hinter einem eines der deutschlandweit größten Family Offices für Direktbeteiligungen steht – und wenn man sich des Wohlwollens der Stadt so sicher ist, dass man sagen kann »wir arbeiten Hand in Hand«. Villinger will auch weiterhin dafür »Themen finden, die einzigartig sind, die mit uns in Verbindung gebracht werden.« Die ganze bauliche Anlage des Zukunftsparks mit dem WTZ-Turm, errichtet von der Stadt-Tochter Stadtsiedlung GmbH, dem kommenden Hotel, den im Neckarbogen nahegelegenen Wohnmöglichkeiten mit Kindertagesstätte, das sind Standortbedingungen, die auch gesuchte Mitarbeiter schätzen. Von München nach Heilbronn wechseln? Im Zukunftspark findet auch das statt.

Auch Elke Döring sagt im Blick auf die nächsten zehn Jahre: »Ich bin davon überzeugt, dass wir auch in Zukunft ein erfolgreicher Wirtschaftsstandort sein werden. Das Angebot wird sich aber sicherlich verändern. Neben Industrie-Produkten werden Dienstleistungsprodukte zunehmend an Bedeutung gewinnen. Neben unseren traditionellen Branchen werden sich hier auch neue Industrien, wie Medizintechnik, Biotechnologie und Pharmazie vermehrt ansiedeln.« Auch Mergel sagt: »Der Wandel ist sichtbar und wir wissen nicht, was in den nächsten Jahren noch alles passieren wird, aber Heilbronn wird stark sein.« Noch Fragen?